Trostpflaster

Die Konvention hätte es verlangt, aber ich kann es manchmal einfach nicht sagen: "Das wird schon". Denn natürlich wird es, alles wird immer irgendwie - zumindest wenn ich daran glaube, dass die Zeit fortschreitet und morgen nicht das Nichts kommt. Selbst wenn morgen das Jüngste Gericht beginnt, auch das "wird schon".

Es gibt Situationen, da bin ich froh, dass die menschliche Kommunikation bestimmten Regeln folgt. Wenn ich an der Supermarktkasse stehe, dann freue ich mich, wenn mich die Kassiererin anlächelt und ich lächle zurück, mehr als "12,98. Danke. Schönes Wochenende" ist dann nicht drin. Gehe ich zum Arzt, erwarte ich eine Begrüßung und ein Schild "Aus hygienischen Gründen geben wir uns nicht die Hand". Gehe ich zur Beichte, dann geht es sofort "in medias res". Sprachmuster bestimmen also, mit wem ich wie viel und worüber spreche. Doch immer wieder gibt es Momente, in denen diese Sprachregeln wackeln, entweder bei mir oder bei meinem Gegenüber. Es gibt Menschen, die möchten tatsächlich wissen, wie es mir geht, wenn sie fragen "Und, wie geht's?". Die Antwort "Danke, passt", lassen sie nicht gelten und auch wenn es mich zunächst erstaunt, sie hören wirklich zu, wenn aus meinem "Danke, passt" ein "Naja, eigentlich würde ich am liebsten schreiend wegrennen, weil..." wird. Es gibt aber auch Menschen - und leider gehöre ich selbst viel zu oft dazu - die ein "Und, wie geht's" als eleganten Gesprächseinstieg über eigene Probleme nutzen. Das "Naja, passt schon" hören sie nicht, da sie ja schon auf die Gegenfragen "Und wie geht es dir?" warten. Gelegentlich laufe ich in solchen Situationen innerlich (und hoffentlich nur innerlich) rot an und denke mir: "Blöde Konventionen". Die Floskel "Und, wie geht's?" ist aber nur eine von vielen. Mindestens genauso schlimm finde ich die Antwort "Ach, das wird schon!" oder "Das schaffst du schon". Prima. Danke. Bitte einmal ein Trostpflaster mit einem rosa Einhorn zum Drüberkleben über meine Probleme. Damit ist mir sowas von gar nicht geholfen und ich fühle mich nicht einmal ernst genommen. Dumm nur, dass es nicht nur eine Floskel, sondern wohl auch eine Konvention ist, das Unbehagen des Anderen mit XXL-Watte zu beantworten. Das will mir meist nicht über die Lippen. Lieber würde ich sagen "Das wird sicher schwer werden" oder "Vielleicht schaffst du es auch nicht, aber das macht nichts". Aber ich habe es noch nicht ausprobiert. Was, wenn der andere dann innerlich rot anläuft und sich denkt "Wo ist dein Benehmen?".  Bislang habe ich in diesen Momenten beharrlich geschwiegen, was dann aber doch eher für Irritationen sorgte und zu einer peinlichen Stille mutierte. Dann doch lieber das rosa Einhorn-Pflaster? Oder Ehrlichkeit? Vielleicht werde ich es demnächst wagen, eine Floskel nicht mit einer Gegenfloskel zu beantworten. "Sorry, Trostpfalter und Watte sind gerade aus. Aber Mitgefühl wäre im Angebot." Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass mein Gegenüber die Flucht ergreift:  "Danke für das gute Gespräch. Ich muss dann auch mal weiter".